Klingender Balsam für die Seele
Irseer Orgelvespern - Peter Waldner verbreitet vom Spieltisch aus Lebensfreude
Irsee - Wie ein Heilmittel gleichermaßen gegen den Corona- und den Herbst-Blues wirkte das Motto der letzten Irseer Orgelvesper in diesem Jahr „Von der Lebensfreude“. Peter Waldner, Orgelkünstler aus Innsbruck und nach vier Jahren zum zweiten Mal am Freiwiß-Instrument zu hören, hatte sich in gut 45 Minuten neun Werke aus Österreich, aus Süd- und Mitteldeutschland vorgenommen. Dabei spannte er den Bogen vom 1649 geborenen Johann Philipp Krieger bis zu Joseph Haydns heiterem „Flötenuhr“-Marche in A-Dur und einem esprit-geladenen Finale in F-Dur aus der Feder des erst achtjährigen Mozart als Schlussstücke.
Dem Motto folgend war bei dieser Orgelvesper sehr viel mehr Dur zu hören als sonst in Orgelkonzerten üblich - sind diese doch vor allem von Moll- und modalen Kirchentonarten geprägt. Dazu kam der besondere Reiz dieser letzten Vesper im Jahr, die traditionell später am Abend und in der fast nur von Kerzenlicht erleuchteten Klosterkirche stattfindet. Dabei konnten die Zuhörer bestens ihren Gedanken nachhängen und mutmaßen, wie sehr viel stärker in früheren, schummrigen Zeiten in Kirchenräumen ein glanzvolles, helles Dur auf die Menschen gewirkt hat.
Professionell-virtuos
Neben einem professionell-virtuosen, dabei belebten und beseelten Spiel beeindruckte Waldner mit einer klug ausgewogenen Nutzung der Registerfarben, die weder Langeweile verbreitete noch auf vordergründig-kapriziöse Effekthascherei setzte. Vor allem aber überzeugte die Auswahl der Stücke: Die „Lebensfreude“, um die es ging, zeigte sich nicht immer in triumphal und ungebrochen durchmarschierendem Dur, sondern durfte auch leiser, verhaltener und verschatteter daherkommen - Hauptsache, die atmosphärische Grundtendenz stimmte.
Die 1690 entstandene „Toccata quinta“ von Georg Muffat als Einstiegsstück verbreitete Lebensfreude in Form einer strahlend-brodelnden, hellen Klangfülle, die den Hörer wie eine lichte Wolke umtoste und einhüllte. Zu seiner Entstehungszeit, die im Vergleich zur Gegenwart um ein Vielfaches leiser war, was die Präsenz von Musik im Alltag betrifft, dürfte die Wirkung des Stücks noch stärker gewesen sein.
Cantus firmus gut verfolgbar
Johann Philipp Kriegers „Passagaglia“ kam danach wesentlich modal-gedeckter daher, als ein warmes, tröstliches Leuchten von Innen, ein klingendes Abendgebet mit filigraner Binnenstruktur. „In dich hab’ ich gehoffet, Herr“ von Johann Krieger hört sich sodann nicht nur nach Luther an, sondern geht tatsächlich auf eine Psalm-Adaption von ihm zurück. Waldner hielt den Cantus firmus trotz einer opulent-lebensfrohen kontrapunktischen Verarbeitung stets gut verfolgbar. Die gut dosierte Chromatik gegen Ende wurde im nächsten Werk, der dreiteiligen „Sonata primi toni“ von Johann Joseph Fux, als Gestaltungsprinzip wiederaufgegriffen. Dies galt vor allem für das fast modern anmutende Allegro, auf das ein liebliches, aber kurzes Andante sowie ein agil-sprungfreudiges Presto folgte.
Kernstück der zweiten Programmhälfte war schließlich das „Concerto del Signor (Giovanni Lorenzo) Gregori, appropriato all’Organo“ von Johann Gottfried Walther, das vor allem eines war: ein echtes spätbarockes Konzert, das effektvoll zwei verschiedene Klangsphären gegeneinandersetzt. Da ist zum einen geistliche Introvertiertheit und zum anderen extrovertierte Dramatik. Umrahmt wurde das Walther-Concerto von einer Chaconne in G-Dur von Johann Caspar Ferdinand Fischer, die interessante Studien zu Auszierungs-Finessen ermöglichte, sowie von Johann Ernst Eberlins „Toccata & Fuga Quarta“ (1747). Mit einem vergleichsweise verwickelt-komplizierten, auf Trillerfiguren bauenden Fugenthema weist diese schon eindeutig in Richtung Klassik voraus.
Lucia Buch - Allgäuer Zeitung